Vor etwa acht Monaten habe ich zum letzten Mal etwas von Juney gehört. Sie war meine größte und bisher einzige Liebe in Phantasus. Wir sahen uns zum ersten Mal vor dem Magic Shop. Eine Gruppe von Avataren stand herum - Juney unter ihnen - und unterhielt sich über dies und das. Ich glaube, es waren ihre leuchtend roten Haare, die mich zuerst fesselten.
Das
Locale war voll besetzt, ich konnte nicht deghosten. Ich sandte einen Gedankenimpuls
an Juney. Sie reagierte positiv. Ich ESPte etwas über ihre roten Haare, die
mir so gut gefielen. Sie verlangte mich zu sehen. Die Gelegenheit fand sich bald.
Ich hatte Glück: Juney fand mich sexy. Rückblickend kann ich sagen:
Es war Liebe auf den ersten Blick.
Etwa eine Woche, nachdem ich für uns ein gemeinsames Turf gemietet hatte,
verschwand Juney zum ersten Mal. Sie kam weder zu den Verabredungen, noch antwortete
sie auf meine Emails. Dann, nach zwei Monaten, plötzlich eine Nachricht.
Sie hatte bei dem Versuch, für ihren neu dazugekommenen Bruder einen Avatarkörper
zu kaufen, versehentlich selbst einen anderen Körper erhalten. Sie dachte,
man könne den Körper in der Körpermaschine erwerben, ihn in die
Tasche stecken und dann einem anderen Avatar geben. Und weil sie in ihrer Schusseligkeit
zu allem Überfluß auch noch den dicken Männerkörper erwischt
hatte, schämte sie sich, mir so unter die Augen zu treten. Sie wollte zuerst
die erforderlichen Token zusammensparen, um sich wieder ihren früheren Körper
zu besorgen. Natürlich ließ ich das nicht zu. Nachdem ich ihr das Geld
für einen neuen Körper geschenkt hatte, trafen wir uns an der Körpermaschine,
wo sie den alten Zustand wieder herstellte. Rückblickend kann ich nicht mehr
begreifen, wieso ich Juneys Geschichte geglaubt habe. Etwa eine Woche später
verschwand sie wieder. Diesmal für immer.
Ich
hatte meine Lektion gelernt. Für viele ist die Existenz in einer virtuellen
Welt nicht etwa die idealisierte Reflexion der Realität. Eine große
Zahl derer, die sich hier aufhalten, sieht in ihrer Cyber-Existenz nichts weiter
als die Gelegenheit zur konsequenzlosen Anarchie. Unterdrückte Ängste
und Defizite lassen sich hier ohne Furcht vor unangenehmen Folgen ausleben. Dabei
sind Diebe nur die harmlose Spielart einer erheblich brutaleren Variante der virtuellen
Desperados. Aus der Sicherheit der Anonymität heraus lassen sich alle in
der Realwelt undenkbaren Schweinereien begehen: Lüge, Betrug, Untreue und
Gleichgültigkeit sind in der virtuellen Gesellschaft nichts als online veranlaßte
Computerbefehle. So zumindest sehen es diejenigen, die eine stille Sehnsucht nach
dem Bruch gesellschaftlicher Tabus in sich herumtragen und nicht den Mut finden,
sie in der realen Welt auszuleben. Was bedeutet es schon, einer Anhäufung
bunter Pixel das "Herz" zu brechen?
Wahrscheinlich ist es eine fortgeschrittene Methode ichbezogener Verdrängungstechnik,
die bei den so Agierenden die Erkenntnis blockiert, daß sich am anderen
Ende der virtuellen Nabelschnur ein echter Mensch mit Gefühlen, Wünschen
und Sehnsüchten befindet. Vielleicht ist es aber auch gerade dieser Umstand,
der die Loslösung von ethischen und menschlichen Werten verlockend und faszinierend
macht. Ich kann das nicht nachvollziehen. Für mich bedeutet der Aufenthalt
in einer virtuellen Welt die Chance, einiges besser zu machen als auf der anderen,
nüchternen Seite.
Im Umgang mit Avatarmädchen bin ich vorsichtig geworden. Sympathiebekundungen begegne ich mit großen Vorbehalten. Wer möchte schon gerne zweimal an der selben Stelle verletzt werden? Vielleicht ist das die falsche Konsequenz. Ich kann es nicht ändern. Von allen mir bekannten weiblichen Wesen auf Kymer gäbe es nur eine, der ich vertrauen würde. Und die ist schon vergeben.
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