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von Nexo
of Kystone
Die Bühne ist mehr als siebzig Meter breit, aber nichts rührt sich, Sekunden nach
seinem Auftritt bleibt Michael Jackson bewegungslos stehen, mitten in der Bewegung,
minutenlang. Zehntausende User - meist weiblich - versuchen fieberhaft, kreischend,
ihren Avatar wieder in Aktion zu versetzen. Unzählige Steuerkommandos jagen zur
Bühne: Tanze für mich, Jacko! - Singe für mich, Jacko! - Liebe mich, Jacko!
Nichts geschieht, nun schon drei Minuten. Was ist los? Programmabsturz?
Michael Jackson ist der erste Real-World-Avatar. Der
Fehlinterpretation,
es handele sich um einen Menschen, hat die Kunstfigur des
Pop selbst
jede Basis entzogen. Gewiß, es gibt frühe Fernsehaufnahmen,
in denen
er im Kreise einer Musikerfamilie zu sehen und zu hören
ist. Den Schwächen
jener Epoche ist sich der Avatar Jacko jederzeit bewußt.
Der damalige
Entwurf war nicht ausgereift. Das Design war - der Zeit
entsprechend - auf
naturalistische Hippie-Philosophie ausgerichtet. Das hatte
zu seiner Zeit sicher
Berechtigung: Computer waren ein exotisches Spielzeug, das
Internet eine
nebulöse Phrase, Onlinekommunikation Thema für Science-Fiction-Autoren.
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Ein Avatar in jener Zeit hatte noch nicht
das richtige
Medium für seine Existenz. Avatare lebten mitten unter
uns, getarnt, menschenähnlich. Sie waren Stellvertreter,
gewiß. Aber ihre Stellvertreterrolle mußten sie subtil
spielen, unterschwellig. Der Kulturschock der Fan-
gemeinde wäre sonst zu heftig gewesen. Zu erkennen,
daß man ein Phantom verehrt, seine Liebe an ein Luft-
gebilde verströmt, hätte unweigerlich zum Absturz des
Popkonstrukts geführt.
Heute, angesichts Active-X-gesteuerter
Emotionen, ist
das für die Zielgruppe kein Problem mehr. Einen Avatar
zu lieben, stellt keine allzu große Abweichung von der
dominierenden Gefühlswelt dar. Im Gegenteil. Virtualität
ist ein feiner Filter. Alle negativen Komponenten körper-
basierender Beziehungsarbeit lassen sich fernhalten. Der
Avatar ist der ideale Liebhaber. Er besteht nur aus posi-
tiven Eigenschaften. Es ist die Visualisierung intimster
Träume. Er kennt keine Schwächen, keine Ängste,
keine Unsicherheit. Ein Avatar macht es dir so, wie du
es immer haben wolltest: einfühlsam, gewandt und
dennoch unschuldig.
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Heutige Real-World-Avatare müssen als solche zu erkennen
sein. Der
Avatar Jacko hat eigendynamisch dafür gesorgt, dieser Anforderung
zu
genügen, Er hat seine Stilistik banalisiert und plakativ
übersteigert, bis sie
sich verlustfrei in Pixel auflösen und in eine 256-Farben-Grafikumgebung
transferieren läßt. Er hat seinen Avatarkopf solange modifiziert,
bis sich
alle individualistischen Elemente zugunsten einer idedalisierten
Verallge-
meinerung verflüchtigt haben.
Es hat andere Real-World-Avatarprojekte gegeben. Solche
Versuche
starteten bereits vor Mitte des Jahrhunderts. Damals kristallisierte
sich -
aktiviert durch die erblühenden Medien Film und Fernsehen
- die Notwen-
digkeit heraus, daß im Geschäftsinteresse wieder Götter
auf Erden wandeln
müssen. Damals rief man noch Götter an, denn der Avatar
als virtueller
Messias war noch nicht gefunden.
Projekt:
Clark Gable. Dieser erste - gelun-
gene - Versuch, Wunschträume in Mensch-
Zitate umzuwandeln, war Ausgangspunkt
für eine Reihe weiterer, höchst erfolgreicher
Avatarkonzepte: Projekt Marilyn Monroe,
Projekt Humphrey Bogart, Projekt Jane
Mansfield, Projekt James Dean, Projekt
Ingrid Bergmann. Auch fehlgeschlagene
Versuche gibt es: Projekt Elvis Presley,
das daran scheiterte, daß ein echter
Mensch einen Avatar simulieren wollte.
Der
Avatar Jacko unterscheidet sich prinzipiell von all diesen vorangegan-
genen Avataren. Er ist der erste, der nicht mehr dem Zwang
unterliegt,
menschenähnlich erscheinen zu müssen. Im Gegenteil. An der
Schwelle
zur globalen Netzgesellschaft brauchen wir Abgesandte des
Cyberspace
in unserer, per definitionem "wirklichen" Welt.
Der Avatar Jacko hat das
erkannt, und mit ihm seine User, in Heerscharen.
Immer noch keine Bewegung auf der riesigen, von Nebel-
schwaden umwölkten Bühne. Die Steuerimpulse der
Liebenden zu Jackos Füßen zucken unvermindert herauf.
Kein Crash! Es darf einfach kein Crash sein! Bitte, Jacko,
bitte, bitte! - Da, das System fährt hoch. Der Datenstau
scheint beseitigt. Kein Crash, dem Betriebsystem sei
Dank. Jacko reagiert auf die Impulse seiner User. Mit
leichter, anmutiger Geste faßt er zwischen seine Beine.
Eure
Meinung? Euer Kommentar? Eure Anregungen?
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des AVATAR!
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