Die Welt
hat ein neues Mammut-Tabu. Zumindest jener Teil der Welt,
der in seiner Jugend keine - oder nur wenige - Science-Fiction-Romane
gelesen hat. Oder jener Teil, dessen Titelspektrum sich nicht über Perry
Rhodan hinaus auf relevante Autoren erstreckt hat. Isaac Asimov, Ray
Bradbury, William Tenn - das sind nur einige. Für die Leser visionärer
SF-Literatur ist es kein neues Mammut-Tabu. Sondern ein altes
Mammut-Tabu.
Für die Leser der genannten Autoren stellt sich die entbrannte Diskussion
über Fluch und Segen von DNS-Manipulationen irgendwie angestaubt dar.
Schon in den 50er Jahren tauchte sie in den Shortstories der SF-Anthologien
auf: Klone, hergestellt aus dem Erbgut wertvoller, weniger wertvoller, oder
unheilvoller menschlicher Originale.
Wie üblich profilieren sich im Rahmen des obligatorischen öffentlichen
Auf-
schreis die Skeptiker und die Kritiker. Es ist eine dankbare Aufgabe, skeptisch
und kritisch zu sein. Skeptiker und Kritiker sind die Popstars der Gesellschafts-
wissenschaften, denn sie verinnerlichen die Geisteshaltung all derer, die auch
nicht wissen, worum es eigentlich geht.
Wer auf skeptisch und kritisch macht, tätschelt den Kopf jedes Dümmlings
und Kleingeists, der seinen Mangel an Denkfähigkeit durch die Absonderungen
einer scheinbar intellektuellen Instanz bestätigt sieht. Wer auf skeptisch
und
kritisch macht, findet immer sein dankbares Publikum. Ein Publikum, das
johlend seinen Gladiator in die Arena der eigenen Engstirnigkeit schickt. Die
Beispiele sind Legion:
_::_ "Die
Erde ist eine Scheibe, und wer
etwas anderes behauptet, ist ein
Gotteslästerer!"
_::_ "Wer
behauptet, dass diese Frau keine
Hexe ist, hängt selbst der Hexerei an!"
_::_ "Es
steht unzweifelhaft fest, dass die
Eisenbahn die gefährlichste Erfindung
unserer Zeit ist, denn es ist wissen-
schaftlich erwiesen, dass der Mensch
Geschwindigkeiten über 30 Kilometer
pro Stunde nicht überleben kann."
_::_ "Ganz
eindeutig wird der Computer für
den Verlust von Millionen von Arbeits-
plätzen verantwortlich sein und das
Ende unserer sozialen Marktwirtschaft
bedeuten."
Moment. Also nie mehr zweifeln, nie mehr kritisieren? Doch, natürlich. Eine
wache Einstellung gegenüber der Welt und den Geschehnissen um uns herum
ist die Voraussetzung für eine funktionierende, sich weiter entwickelnde
Gesellschaft. Es kommt nur darauf an, bei Kritik und Skepsis eine wichtige
Person nicht auszusparen: sich selbst. Meinungsbildung gehört zu den
schwierigsten Angelegenheiten des Geistes, und sie besteht nicht aus
zwanghafter Verneinung, dem Lieblingssport so vieler Bürgerinitiativen.
("In Ordnung, das Lokal hätten wir verjagt, und wogegen sind wir jetzt?")
Es gibt so viele Fallen auf dem Weg zur reifen Urteilsfähigkeit:
_::_ "Ist
das wirklich meine Meinung, oder
nur die Projektion des öffentlichen
Konsenses?"
_::_ "Ist
das wirklich meine Meinung, oder
die Brut meiner Vorurteile?"
_::_ "Ist
das wirklich meine Meinung, oder
der Versuch, nicht aufzufallen?"
_::_ "Ist
das wirklich meine Meinung, oder
nur eine Heulprobe für die Aufnahme-
prüfung ins Wolfsrudel?"
So weit, so zweifelhaft. Aber was hat das Ganze mit der Klon-Diskussion des
aufkommenden Gen-Zeitalters zu tun? (Ihr werdet es nicht aufhalten können,
Diplomverneiner!) Eigentlich nicht viel. Oder doch: Es gibt, wie gesagt, ein
neues Mammut-Tabu: das Klonen eines Menschen. Es ist - da sind sich die
Kritik- und Skepsis-Heimwerker einig - verwerflich, unethisch, gotteslästerlich.
Was die Schöpfung täglich millionenfach tut, nämlich die Schaffung neuer
Erbsubstanz aus alter Erbsubstanz, soll der Mensch nicht nachmachen. Wo
kämen wir da hin. Das haben wir noch nie gemacht. Da könnte ja jeder
kommen. Und warum dürfen wir es nicht? Weil beim gefundenen Verfahren
die genaue Kopie des Vorbilds entstehen würde, und futsch ist die heiß
geliebte Einzigartigkeit.
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