Übrigens: Der nächste avAtaR erscheint am 1.04.1998 ! 
   



Zuweilen wandern die Gedanken zurück in die eigene Vergangenheit, um sich mit Weichenstellungen der bisher durchlaufenen Lebenszeit zu befassen. Ob wir dieses oder jenes richtig oder falsch entschieden haben damals - diese Frage begleitet uns ein gutes Stück unseres Lebenswegs, manchmal sogar die ganze restliche Existenz. Auch um globale Schicksalsfragen dreht sich unser Denken das eine oder andere Mal. "Was wäre, wenn ...." - diese Formel geistert immer wieder durch unsere Vorstellung. Was wäre, wenn Abraham Lincoln mit 16 Jahren von einer Postkutsche überfahren worden wäre? Was wäre, wenn nicht Alois Hitler, sondern sein Bruder Adolf im Alter von 14 von zu Hause ausgerückt wäre? Was wäre, wenn E nicht gleich mc² wäre? - Seit einiger Zeit geistert durch mein Gehirn eine neue Was-wäre-wenn-Variante: Was wäre, wenn nicht Bill Gates, sondern Kai Krause in seiner Garage ein Betriebssystem für IBM's neue PCs weiterentwickelt hätte, damals, in den Siebzigern? 

Einiges würde anders aussehen heute. Wahrscheinlich hätten wir keine Fenster auf unseren Monitoren, sondern fotorealistisch gestaltete Bedienelemente auf einer ansprechend gestalteten Arbeitsfläche, die wir sofort verstehen würden. Wahrscheinlich hätten wir das Gefühl, das uns jemand mag, dort bei den Programmieren. Wahrscheinlich hätten wir das Gefühl, daß ein Programmabsturz etwas Besonderes ist, etwas Seltenes, das einen guten Grund hat.

Kai Krause und seine Firma MetaCreations haben den Mercedes des Softwarekultur geschaffen. Kai's Programme haben keine durchgehende vordere Sitzbank, keine starre Lenksäule und keinen Automatikwahlhebel an eben dieser. Kai's Programme sind leise dahinflüsternde, abzugsstarke und sichere Datengefährte, die so ziemlich jeden digitalen Schleudertest bestehen. Nur schade, daß Konkurrenzdruck und Leistungswille die MetaCreations-Macher manchmal dazu verführen, einen Prototypen als Seriengefährt auf die digitale Straße zu schicken - so wie bei Poser 3. Doch dazu später mehr.

Bryce 3D und Poser 3 sind die Gottprogramme im Softwarespektrum von MetaCreations, gemacht zur Erschaffung eigener Welten. Dabei ist Bryce 3D für die ersten fünf Schöpfungstage zuständig, Poser 3 für den sechsten. Und am siebten, da können auch virtuell orientierte Weltenschöpfer ruhen.

Grafiker, Werbemenschen, aber auch Künstler und reine Hobbyanwender bekommen mit den beiden Programmen eine geladene Pistole in die Hand. Allerdings eine mit einem Sensor. Eine, die erkennt, wie hoch die Qualifikation des Benutzers ist. Ob 3D-Anfänger oder Animations-Profi - jeder kann mit Bryce und Poser etwas Interessantes schaffen, und das mit an Verwegenheit grenzender Leichtigkeit.

"Der Torus-Editor existiert aus zwei Gründen:" heißt es im Handbuch der Vorgängerversion 2 von Bryce, "um Sie zum Lächeln zu bringen und den inneren Rand des Torus einzustellen." Man beachte die Reihenfolge. Zwar ist das Handbuch von Bryce 3D erheblich nüchterner ausgefallen (schade eigentlich!), doch die Softwarephilosophie, die hinter diesem kleinen Satz steckt, ist erhalten geblieben (wenn auch nicht die alte Form des Torus-Editors).
 

Eine Welt in 10 Sekunden
 

 

ACHTUNG: Das kompri-mierte JPEG-Format ist nicht in der Lage, die Farbbrillanz und Qualität der in HighColor gestalteten Benutzer- oberfläche sowie der erzeugten Bilder in diesem Artikel verlustfrei wiederzugeben!
  

 
   


  
Bryce 3D ist zur Gestaltung von Landschaften da, die in fast allen Aspekten animierbar sind. Das 3D-Programm bewältigt diese Aufgabe auf eine für User herkömmlicher Animationsprogramme neuartige Weise. Vergeblich sucht man auf der Benutzeroberfläche das altbekannte Vier-Ansichten-Layout. Bryce (und auch Poser) begnügen sich mit einem großen Fenster, das für alle Ansichten da ist. Dafür ist der Ansichtenwechsel vorbildlich leicht. Der Klick auf - oder der Mauszug über - das entsprechende Symbol auf der linken Seite, oder die Betätigung der entsprechenden Hotkeytaste schafft in Sekundenbruchteilen die gewünschte Ansicht nach vorne. Unter dem Ansichtenwähler lockt ein plastisch dargestellter Trackball, es einmal mit ihm zu versuchen. Ebenfalls nach wenigen Sekunden hat man damit die Kamerasteuerung sicher im Griff. Ein wenig später erkennt man, daß es eine Reihe von Kameraarten gibt: Eine frei bewegliche Kamera, eine, die auf ein Stativ montiert ist, eine, die auf Schienen läuft und - nach dem Klick auf ein unscheinbares Symbol - eine, die im Hubschrauber über der Szene kreist.

Wie also erschafft man eine Welt? Man klickt auf die Elemente, die man haben möchte. Einen sich endlos erstreckenden Untergrund aus grauem Basalt? Bitte sehr - klick. Einen Berg mit Bewaldung und Schneegrenze? Bitte sehr - klick. Einen karibischen Ozean? Bitte sehr - klick. Rosafarbene Morgenstimmung? Bitte sehr - klick. Sonne aus Südosten? Etwas Dunst? Cumuluswolken? Klick - klick - klick.
 

 
Bereits mit dem Vorschau-Rendermodus, der beim Bild links inklusive AntiAliasing nur rund vier Minuten dauerte, lassen sich anschauliche Bilder herstellen.
 
 
   


Wer nun glaubt, diese unkomplizierte Art der Landschaftserzeugung durch uniforme Standardelemente bezahlen zu müssen, irrt. Irrt sogar gewaltig. Jedes Objekt läßt sich bis ins kleinste hinein editieren, variieren und positionieren. Über genial auftauchende Popups drängelt sich die Farbpalette unter den Mauszeiger. Ein Himmelseditor sorgt für detaillierte Nachbearbeitung der zahlreichen vorkonfigurierten Presets oder erlaubt die Konstruktion einer Wetterlage von Null ab. Der Terrain-Editor, der für sich gesehen bereits einen Softwarepreis verdient, modifiziert oder konstruiert vom Hügel bis zum Bergmassiv alles, was nicht eben ist. Wie das geht? Einfach ein bißchen malen. Je weißer, desto höher. Eine Unmenge angewandter Filter sorgt für Erosion, Erdhügel, Krater, Reliefs und eine Menge mehr. Per Tonwerttrennung entstehen kubische Gebirge, die an futuristische Stadtlandschaften erinnern. Auch importierte Bilder können Gebirge formen: Wer ein Gebirge haben möchte, das in der Form seines Namens aufragt, kritzelt diesen auf die Malfläche oder importiert eine Schwarzweißgrafik in seiner Lieblingsschrift.
 

 
Das Terrain links unten ensteht in Echtzeit gemäß der Malaktivitäten rechts oben. Auch die unzähligen Filter und Operatoren wirken sofort - sogar bei ständig kreisendem Objekt. 
   

Schier unendlich ist die Auswahl an Texturen und Materialen. Neben einer bereits im Lieferumfang enthaltenen, großen Materialbibliothek verfügt Bryce 3D auch über Importfunktionen für externe Materialien und - man ahnt es schon - einen Materialeditor, der neue Überzüge aus mehreren Schichten von Texturen und Reliefgrafiken herstellt. Auch Massivtexturen sind möglich. Jeder einzelne Schicht ist fast bis auf Pixelebene hinab einstellbar.
 
 
Alle Bibliotheken lassen sich durch importierte oder selbst angefertigte Materialien erweitern.  
   
Wie ein Museumsbesucher, der ganz am Ende seiner Tour eine kleine Tür zu einem weiteren, riesigen Museumsflügel entdeckt, kommt sich der vor, der beginnt, die Animationsfunktionen von Bryce zu erforschen. Buchstäblich alles läßt sich animieren: vom aufwachsenden Berg über die erblassende Sonne und morphende Geometriekonstrukte bis hin zu sich häutenden Wolkenkratzern und sich auflösenden Ozeanen, das ganze gekrönt von entfesselten Kamerafahrten.

Die Grenzen des Möglichen erkennt der Benutzer beim Rendern. Nicht bei der Qualität, oh nein. Sondern viel mehr bei der Leistungsfähigkeit eines handelsüblichen PC oder Mac. Rendern, daß ist die Milchstraße der Datenverarbeitung. Unendliche Weiten, die durchpflügt werden müssen. Die Datenspringflut, die dabei auf den ungeduldigen Weltenschöpfer zurollt - besonders bei animierten Welten - läßt ihn angesichts hochleistungsfähiger Grafikworkstations wieder Bescheidenheit lernen. Rendern benötigt Zeit, viel Zeit. Besonders, wenn man in einem Programm von Kai Krause rendert. Nicht, weil seine Render-Engine besonders langsam ist, im Gegenteil. Sondern weil man bei Bryce 3D dieser Maxime treu ergeben ist: Quality First!

Bryce 3D rendert kompromißlos nach dem Raytracing-Verfahren mit anschließendem AntiAliasing. Kai wäre nicht Kai, hätte er nicht einige Trostpflaster auf Lager. Da ist zunächst die Nano-Vorschau, ein kleines Bildchen links oben, das immer sichtbar ist und nach jeder Operation das Ergebnis in einem verblüffend naturgetreuen Einfach-Renderbild anzeigt. Dazu kommt das Vorschau-Rendern, das mit einem einfacheren Verfahren als Raytracing arbeitet, aber dennoch nach relativ kurzer Zeit ein aussagekräftiges Bild liefert. Um nach Korrekturen nicht das ganze Bild neu rendern zu müssen, gibt es die Plop-Renderfunktion, die nur den vorgewählten Bildausschnitt rendert - sowohl im Vorschau- als auch im Hauptmodus. Und schließlich noch der Hauptmodus selbst: Wenn es schon so lange dauert, soll es wenigstens Spaß machen! Das Rendern erfolgt in einer Art Interlacing, die an den Bildaufbau von GIF-Dateien in Webseiten erinnert. Schon nach Sekunden hat man das ganze, wenn auch grobgewürfelte Bild auf dem Bildschirm und kann sich an der schichtweise erfolgenden Detaillierung ergötzen.

Die Exportabteilung ist nicht gerade üppig bestückt, deckt aber trotzdem so ziemlich jede Situation ab, die Profi und Amateur vorfinden können. Einzelne Bilder werden als BMP-Grafiken exportiert. Animierte Sequenzen kann man als AVI-Dateien ausgeben oder - wenn man sie aus Qualitätsgründen unkomprimiert benötigt - in automatisch durchnumerierten Einzelbildgruppen der Formate BMP oder TIFF.

Gibt es Schwachpunkte bei Bryce? In der Zeit, die für diesen Überblick zur Verfügung stand, traten fast keine auf. Ungünstig gelöst ist die Objektmarkierung in komplexen Landschaften. Verborgene oder kleine Objekte sind schwer zu fangen. Mit Hilfe der Umschalttaste kann man zwar alle Objekte markieren, die unter der Maus liegen, doch um das gewünschte herauszupicken, müssen nun alle nicht gewollten Objekte deselektiert werden. Das ist umständlich und - bei sehr kleinen Objekten - oft nicht möglich. Hier wäre für die unproblematische Selektion aus einer Objektliste der richtige Weg.

Ein anderer Mangel, der ins Auge fällt, ist wohl auf die Naturorientierung der Bryce-Landschaften zurückzuführen. Zwar kann man auf die vorher beschriebene Weise mit dem Terrain-Editor straßenlose Stadtlandschaften simulieren. Auch einige coole Haus- und SF-Texturen sind vorhanden. Aber dennoch ist das Gebiet Architektur und Städtebau in Bryce noch unterrepräsentiert. Der hohe Qualitätsstandard und die neuartige Softwarekultur haben auch Nachteile, und zwar für den Hersteller: Die Anspruchshaltung der User wächst. He, Kai, was ist mit einem Objekt "Stadt", das mit einem Klick eine solche auf den Untergrund zaubert, komplett überzogen mit unterschiedlichen Texturen, Lichtern, und allem? Und wo ist der Stadt-Editor? Und weil wir gerade dabei sind: Wir wollen Innenräume haben, jawohl, einfach so per Mausklick! Und Einrichtungsgegenstände - her damit! User sind gierige Geschöpfe. Je mehr man ihnen gibt, desto hungriger werden sie.

Es werde Mensch

Wer es richtig macht, beschäftigt sich zuerst mit Bryce und dann mit Poser. Nicht, weil man das zweite ohne das erste nicht verstehen würde. Sondern wegen des Kicks. Nach Bryce hat man den Eindruck, keine Überraschungen mehr erleben zu können. Und dann glotzt einen nach dem Programmstart von Poser 3 ein fertiger Mensch an, komplett texturiert und bereit für den Einsatz. Wohlgemerkt - bevor man überhaupt irgend etwas getan hat.

Erste Falle: Man hält den Mann vor sich für ein Bild. Ein Klick mit der Maus auf eine beliebige Körperstelle liefert ein Indiz dafür, daß das nicht stimmt. Zieht man an der markierten Stelle, ist alles klar. Der Körperteil bewegt sich in die gewünschte Richtung.

Zweite Falle: Man hält den Menschen vor sich für eine 2D-Grafik. Auch hier ist der Gegenbeweis leicht anzutreten. Der aus Bryce bekannte Trackball ist auch hier vorhanden. Einmal kurz mit der Maus daran gedreht, damit die Kamera geschwenkt, und man sieht den Datenmann oder die Datenfrau von oben. Oder von links. Oder von ganz hinten unten.
 

 
Alle Bedienelementgruppen auf der Arbeitsfläche lassen sich auf- und zuklappen und beliebig verschieben 
   


Nun ist allerdings nicht alles eitel Sonnenschein in Poser 3. Eigentlich ist das Programm sogar noch so fehlerbehaftet, daß man es eigentlich als Betaversion einstufen müßte. Trotzdem: Poser ist so bestechend in seiner Machart und seinem Produktprinzip, daß man - ausnahmsweise - die bislang vorhandenen Macken in Kauf nehmen sollte.

Menschen wählt man in Poser 3 aus der Figurenbibliothek. In ihr - dieses Versäumnis muß spätestens jetzt nachgeholt werden - gibt es auch eine Reihe von Tieren und Phantasiewesen, vom Hund über den Delphin und Raptor bis zum Knochenmann. Bei Mensch und Tier gibt es - und das muß als Kritikpunkt angebracht werden - keine sehr große Auswahl. Je eine Frau, ein Mann und ein Kind in Geschäftskleidung, in sportlicher Kleidung und ohne Kleidung. Dazu noch die Figuren aus der Vorgängerversion Poser 2, die aber in ihrer Beweglichkeit weit hinter den neuen Gestalten zurückbleiben. Zwar kann man sie alle skalieren und ihnen unterschiedliche Körpertypologien zuordnen, aber dennoch bleibt der störende Eindruck einer gewissen Uniformität. Hilfe ist bereits im Anmarsch: Poser ist ein offenes System. So hat zum Beispiel die Zygote Media Group drei Kollektionen zusätzlicher Poser-Figuren auf den Markt gebracht.

Doch schon mit den vorhandenen Figuren kann man eine Menge anfangen. Eine Reihe vorkonfigurierter Kameraeinstellungen beschleunigt die Arbeit ungemein. Mit einem einfachen Klick kann man direkt auf linke Hand, rechte Hand oder das Gesicht schalten - egal, wie die Figur gerade steht oder welche Pose sie gerade einnimmt. Zusätzlich lassen sich eigene Kameraeinstellungen speichern. Drei Scheinwerfer sind beliebig positionierbar und einfärbbar. Leider sind die Leuchten nicht frei beweglich, sondern lassen sich nur schwenken. Hier ist ein weiterer wesentlicher Mangel anzumelden: Es ist nicht möglich, die voreingestellten Kamera- und Posenpunkte mit der Datei abzuspeichern. Nach dem Aufruf übernimmt jede Datei eifrig die auf der Benutzerpoberfläche gerade aktuellen Speicherpunkte. Auch abweichende Texturen, wie etwa der Wunsch "keine Textur für die Grundfläche", gehen beim Speichern leider verloren - für Auftragsarbeiten unter Termindruck ein geradezu unüberwindbares Hindernis.  
 

 
Die nicht transparente Gitteransicht
ist nur eine von neun (!) Ansichtsarten
 
   


Beeindruckend ist die Beweglichkeit der Poser 3-Figuren. Alle Hauptmuskelpartien sind vorhanden. Die Körperteile sind anatomisch richtig miteinander verknüpft: Zieht man die Hand nach außen, streckt sich der Arm entsprechend. Bei eingeschalteter inverser Kinematik verhält sich die Figur den Umgebungsverhältnissen entsprechend: Wird der Rumpf nach unten gezogen, beugen sich selbsttätig die Knie im richtigen Winkel. Hier ist ein weiterer Schwach- punkt zu verzeichnen: Das Ein- und Ausschalten der inversen Kinematik - ein Vorgang, der öfter vorkommt - ist ziemlich umständlich. Entgegen der sonst so perfekt gestalteten Benutzeroberfläche ist dieser Vorgang in einem Untermenü der Menüleiste versteckt. Da sich die inverse Kinematik für jeden Arm und jedes Bein einzeln einstellen läßt, bedarf die Umschaltung vier nerviger Menüoperationen. Nicht gut draufgewesen an dem Tag, Kai?

Viel besser (und schöner) ist die Steuerung der Körperteile gelöst. Es gibt Werkzeuge zum Drehen und Verschieben der Körperteile. Wer auf eine Handkamera und dann auf die Hand selbst klickt, erlebt seinen nächsten Adrenalinstoß. Die Beweglichkeit ist bis in jedes Fingerglied hinein vorhanden. Pro Finger sind drei Fingerglieder vorhanden. Wie üblich kann man jedes Element mit der Maus anklicken und durch Ziehen bewegen. Fast noch schöner - und bei der Feinpositionierung dringend erforderlich - ist die Steuerung über die Einstellrädchen rechts neben dem Arbeitsfenster. Sie bieten absolut alles, was der professionelle Anwender benötigt - und was den Amateur erfreut. Per Mauszug über das Rädchen läßt sich der gewünschte Wert dynamisch einstellen. Der Doppelklick darauf öffnet ein Feld zur numerischen Eingabe. Nach dem Anklicken des gewünschten Körperteils erscheint für jedes steuerbare Element ein Rädchen. Bei der Hand beispielsweise kann man hier die Gesamtgröße verändern, aber auch die X-, Y- und Z-Koordinate einzeln bearbeiten. Es gibt ein Rädchen zum Einstellen der Griffposition bis hin zur Faust, eines zum Abspreizen des Daumens, eines zum Verdehen des Handgelenks und zwei für das Schwenken der Hand. Für indiviuelle Handposen klickt man auf den gewünschten Finger - und hat wieder eine Anzahl Einstellrädchen zur Verfügung.

Einen Höhepunkt der Steuermöglichkeiten stellt das Gesicht dar. Die einstellbaren Parameter lassen jede erdenkliche Mimik zu - bis hin zur Erzeugung beeindruckender Aliens. Alleine schon die Kombination aus "Lippen öffnen" und "Lächeln" bietet Anlaß zu ausgiebigen Versuchsreihen und liefert eine unerschöpfliche Zahl an Stimmungsbildern. Daneben kann man die Mundwinkel nach unten ziehen und die Augenbrauen heben oder senken. Eine Reihe von Phonetik-Mimiken simulieren die Aussprache verschiedener Buchstaben oder Silben, was besonders den Animatoren lippensynchroner Sprachsequenzen die Arbeit erleichtert.
 

 

In bester MetaCreations-Manier erfolgt die Ausstattung der Figuren. Wieder aus entsprechenden Bibliotheken stammen Zubehörartikel wie Frisuren, weitere Mimiken, besondere Handstellungen und einige wenige geometrische Grundformen zum Aufbau von Zubehörteilen. In der Posenbibliothek sind eine Reihe ausdrucksstarker Körperstellungen und Animationen vorhanden, die man der Figur per einfachem Mausklick zuordnet. In der Lichtbibliothek sind vorgefertigte Lichtszenarios vorhanden - von "Dantes Inferno" bis zum freundlichen Sommerlicht. Wie alle anderen Bibliothekteile kann man auch diese Sektion durch eigene Einstellungen erweitern. Dennoch bleibt auch hier ein Eindruck von Dürftigkeit bei der Auswahl, die regelrecht nach Erweiterung schreit.

Das bestätigt sich auch bei der vergeblichen Suche nach Kleidungsstücken für unbekleidete Figuren. Da leider auch keine Körperregionen isoliert und getrennt texturiert werden können, ist auch eine so simulierte Bekleidung nicht realisierbar. Der mit einer knappen Sporthose bekleidete Artist auf dem Titelbild des Poser 3-Handbuchs führt etwas in die Irre: Nach Informationen von MetaCreations wurde das Kleidungsstück nicht mit Poser, sondern mit einem zusätzlichen Grafikprogramm aufgebracht, was für solche Fälle als Vorgehensweise empfohlen wird. Mit großem Interesse möchte ich dabei zusehen, wie für einen 20-Sekunden-TV-Spot auf diese Weise 500 Einzelbilder ruckelfrei nachgerüstet werden. Soll sich Poser als professionelles Tool für Grafikdesign und Computeranimation etablieren, sind Bekleidungsobjekte unabdingbar.

 

 
   

 
Das Anwählen kleiner Elemente ist in Poser 3 besser gelöst als in Bryce 3D - theoretisch. Zwar gibt es eine Objektliste, aus der das gewünschte Element bis hinunter zum dritten Glied des kleinen Fingers angewählt werden kann. Doch leider - in der vorliegenden Testversion herrschte unter Windows 98 bei der Bildschirmauflösung 800x600 gähnende Leere - die Objekte blieben verborgen und mußten durch umständliches Drehen und Wenden der Figur "klickbar" gemacht werden. Das Höherstellen der Bildschirmauflösung brachte die fehlende Liste jedoch zutage. Der Fehler geht jedoch nur zum Teil auf MetaCreations zurück: Windows 98 kann sehr lange Popup-Menüs nicht teilen, so wie das unter Windows 95 der Fall ist. Trotzdem haben die Mannen um Kai Krause die baldige Behebung der Fehlfunktion zugesagt.

Die Animation der Figur kann auf drei Arten erfolgen. Erster Weg: Mittels Keyframe-Animation bestimmt man Anfangs- und Endpunkt einer Bewegung sowie Bildzahl und -geschwindigkeit der Sequenz - Poser macht den Rest. Mit Hilfe der Animationspalette lassen sich für jeden Körperteil unabhängige, aufeinanderfolgende oder überlappende Animationsteile erzeugen. Die zweite Animationsart betrifft das Gehen der Figur. Sekundenschnell ist ein Bewegungspfad gelegt und passend hingebogen, den die Figur dann brav entlangschreitet. Die gewünschte Kopfhaltung ist einstellbar: Blick in Richtung des nächsten Schritts, auf das Pfadende oder in die Richtung der nächsten scharfen Kurve. Für den Import in andere Animationen ist die dafür oft benötigte Option "Gehen am Platz" vorhanden.

Ein Highlight - und gleichzeitig ein Kritikpunkt - ist der "Walk-Designer". Mit seiner Hilfe läßt sich jeder - aber wirklich jeder - Aspekt der Gehbewegung festlegen. Man kann vorgeben, ob und wie schnell die Figur läuft, ob sie schlendern, schlurfen oder schleichen soll. Man kann einstellen, ob und wie stark sie mit den Armen schlenkert, ob sie wie ein Kraftprotz mit abgespreizten Armen geht oder einen sexy Hüftschwung präsentiert. Das Strichmännchen im Walk-Designer führt die eingestellten Parameter anschaulich vor. Der Wermutstropfen: Leider sieht der gewählte Gang bei der tatsächlichen Figur nicht mehr so schön aus. Vor allem an einer Schwäche krankt der zum Gehen animierte Computermensch: Er scheint an chronischer Knieweichheit zu leiden. Jeder Gang, wie forsch er auch eingestellt ist, sieht ein wenig aus wie ein Förderantrag an Monty Pythons Ministry of Silly Walks. Hier wäre ein wenig weitere Entwicklungsarbeit sicher kein unnötiger Luxus.  Bis dahin muß man sich mit dem vorgefertigten Geh- und Laufsequenzen aus der Posen-Bibliothek behelfen, die von erheblich besserer Qualität sind.
 

 
Leider setzt die zu animierende Figur die Gehbewegungen nicht so realistisch um, wie das Strichmännchen des Walk-Designers sie vorführt. 
   


Erstaunlich ist das Eigenleben, das beide Programme nebeneinader führen. Gleich einem alten Ehepaar, das sich nicht mehr viel zu sagen hat, wird das eine im Handbuch des anderen so gut wie nie erwähnt. Dabei macht die Symbiose aus beiden Anwendungen erst den wahren Reiz aus. Theoretisch gibt es die Möglichkeit, Poser-Objekte in Bryce weiterzuverwenden. Die Import- und Exportfunktionen beider Programme bieten eine Reihe übereinstimmender Formate - von DXF bis zu 3D Studio. Doch auch hier hat der Beta-Dämon die Endversion noch fest in seinen grauenvollen Klauen: Jeder Versuch, eine Poser-Figur nach Bryce 3D zu importieren, führte bei dem unter Windows 98 laufenden Testrechner (330 Pentium MMX) zu dem bei MetaCreations so seltenen Systemcrash, der nur mit einem Kaltstart überwunden werden konnte. Einzige Ausnahme: das DFX-Format. Damit konnte ich statt des Objekts zumindest einen feinen Strich importieren. Der Poser-Produktmanager weist auf eine Einschränkung hin: Die Übertragung einer Poser-Figur nach Bryce funktioniere vorerst nur mit dem OBJ-Format. Auf jedem Rechner, den er zu Gesicht bekommen hätte, funktioniere es hervorragend. Schade, daß meine Simens-Nixdorf-Maschine nicht unter den getesteten Rechnern war.

Bryce 3D und Poser 3 sind nicht nur zwei hervorragende Animationsprogramme für die superschnelle Erschaffung von animierten Welten und Lebewesen (mit erheblichem Debug-Bedarf bei Poser 3). Die beiden Programme sind auch ein Vorschlag für die Zukunft der Softwarekultur. In einer Welt, deren Datenverarbeitung größtenteils von einem einzigen Softwarekonzern beherrscht wird, sind neue Impulse dringend erforderlich. MetaCreations zeigt, wie Hochleistungssoftware auch aussehen könnte. Es kommt eben sehr auf den Herstellungsprozeß an. Einst war das Fließband. Ihm entstammten in seiner besten Zeit Autos mit durchgehender vorderen Sitzbank, starrer Lenksäule und einem Automatikwählhebel an eben dieser. Heute fabriziert man besser in Produktionsgruppen. Ihnen entstammen Autos mit computergesteuertem Antischlupfverhalten, Satellitenortung und Abstandswarnsystem. Natürlich - der Aufwand ist größer, aber dafür profitiert das Produkt vom weltweiten Qualitätsmythos. Schön, daß jemand diese Erkenntnis in den virtuellen Raum transponiert.

Und Kai sprach: "Das Leben ist gut."

So schon.


 

 

 

 
Übrigens: Der nächste avAtaR erscheint am 1.04.1998 !Daten

Produkt:
3D-Animationsprogramme für Landschaften und Lebewesen

Hersteller:
MetaCreations - www.metacreations.com

Sytemvoraussetzungen PC:
Windows ab 95 oder NT 4
Pentium
Bryce 3D: 16 MB RAM - 50 MB Festplatte
Poser 3: 32 MB RAM - 80 MB Festplatte

Sytemvoraussetzungen MacIntosh:
MacOS 7.1
PowerPC
Bryce 3D: 16 MB RAM - 50 MB Festplatte
Poser 3: 32 MB RAM - 80 MB Festplatte

   


Positiv:

Sehr einfache Bedienung
Ausgereifte, ergonomische Benutzeroberfläche
Detaillierte Editierung für Profis
Neuartige Softwarephilosophie

Bryce 3D:
Mächtige Landschafts- und Umweltfunktionen
Ausgefeilte Kamerafunktionen
Leistungsfähiges Raytracing-Rendering
Schnelle Vorschau-Renderfunktionen

Poser 3:
Sehr schnelle Erzeugung kompletter Lebewesen
Posing per Mauszug und Einstellrädchen
Große Beweglichkeit der Figuren
Einfache Animation


Negativ:

Bryce 3D:
Objektmarkierung bei komplexen Szenen schwierig
Zu wenig Gestaltungsmöglichkeiten für Städte
Zusammenarbeit mit Poser 3 verbesserungswürdig

Poser 3:
Noch zahlreiche Programmfehler
Umschalten der inversen Kinematik umständlich
Unbekleidete Figuren nicht bekleidbar
Gehanimation mit Walk Designer etwas unharmonisch
Zusammenarbeit mit Bryce 3D verbesserungswürdig
  

 
   


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