Die Leiden
des jungen Adam


Da ist er wieder. Pünktlich zur
Stelle. Ein zuverlässiger Bursche.
Kaum habe ich den Quellcode für
die neue Datenbankanwendung so
weit, daß sie getestet werden
kann, taucht er auf: Adam Apfel,
der Datenbank-Avatar.

Adam ist virtueller als die üblichen Avatare. Er ist nicht nur körperlos. Es verfügt auch über keinerlei Aussehen. Keine Grafik. Kein Foto. Nur eine Assoziation. Adam Apfel.

Aber eine Wohnung hat er. In der Aignergasse 1, 11111 Augsburg. Spätestens hier wird klar, das Adam Apfel nicht von dieser Welt ist. 11111 als Postleitzahl für Augsburg? Die Nebel lichten sich: Adam Apfel ist ein Versuchsavatar, ein gepeinigtes Opfer gefühlskalter Laborwissenschaft. Datenbankanwendungen benötigen für die Testphase Datensätze, virtuelle Personen, die die frisch entstandenen Tabellen bevölkern und unter Einsatz ihrer labilen Existenz die Lebensbedingungen in der Datenmetropole testen. Adam Apfel ist ein solcher Pionier.

In brutalen Zuchtverfahren wurden ihm besondere Eigenschaften aufgepfropft, die ihn für die Laborversuche besonders geeignet machen. Die größte Gefahr für die Versuchskaninchen in nicht ausgetesteten Datenbanken ist die der Verstümmelung. Wie schnell ist ein Datensatz zerrissen, der Nachname hier, der Vorname da, die Straße dort, die Stadt ganz verschwunden! Tausende, Zehntausende, ja, Hunderttausende wackerer Versuchsavatare mußten in inkonsistenten Datenbanken schon ihr junges Leben lassen. Doch kein Denkmal ist ihnen geweiht, kein Geschichtsbuch erinnert an sie.

Davon völlig unberührt habe ich in zynischem Pragmatismus Adam besondere Merkmale verpaßt: Alle Feldeinträge beginnen mit dem gleichen Buchstaben. Schlägt die Inkonsistenz der Datenbank zu, ist das sofort zu erkennen. Das jämmerliche Ende des gepeinigten Opfers wird hingenommen. Der Versuchsavatar ist entbehrlich, nur das Ergebnis zählt. Kann es so weitergehen?

Adam Apfel ist nicht allein. Bei ausgedehnteren Tests teilt Berta Birne sein Schicksal. Ohne Rücksicht auf die Grundrechte, die zweifellos auch Avataren zustehen, wird sie aus ihrem gemütlichen Zimmer in der Bammelstraße 2, 22222 Berlin, gezerrt und der zu testenden Datenbank einverleibt. Wie ist es möglich, daß Angehörige fortgeschrittener Kulturen, Anwender von Verfahren der Hochtechnologie, so barbarisch handeln? Ich kann auch mich selbst nicht von diesen Vorwürfen freisprechen. Ist es nicht meine eigene Datenbank, die zum Foltergefängnis für Adam Apfel und Berta Birne geworden ist?

Wie kommen sie damit zurecht, all die unglücklichen, gequälten Digitalexistenzen, deren einzige Bestimmung es ist, innerhalb fehlerhafter Datenbanken in ihre Bytebestandteile zerlegt zu werden? Wovon träumt Cäcilie Citro, wenn sie nach langem, gequälten Herumwälzen im Bett ihrer Wohnung am Christophsdamm 3 in 33333 Celle endlich erschöpft in unruhigen Schlaf fällt? Wer beruhigt Detlef Dattel, wenn er sich laut schreiend in der Toilette seines Hauses in der Dornstraße 4, 44444 Düsseldorf, verbarrikadiert? Und Emil Elch (Elisenstraße 5, 55555 Essen)? Und Friedrich Feige (Frantzsttraße 6, 66666 Frankfurt)? Und Gustav Gurke, Heinrich Holz, Ida Iltis, ganz zu schweigen von Yugo Yilmaz und all den anderen?

Ich glaube nicht, daß ich so weitermachen kann. Auch Programmierer haben ein Gewissen. Ich muß ein anderes Testverfahren finden, ohne avatarverachtende Laborversuche. Und wenn ich keines finde, bleibt nur der Berufswechsel. Die pharmazeutische Industrie fasziniert mich schon seit längerer Zeit.

Nexo of Kystone



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