Abendstimmung
im virtuellen Dorf | ||
Ein
Situationsbericht zur Lage von WorldsAway von Nexo of Kystone | ||
Gerade die systemimmanente Besonderheit der Bioeinheit Mensch, ihre Fähigkeit, rational begründete Entscheidungen zu treffen, war Ursache für allerlei Programmfehler, Systemstörungen und Abstürze bis hin zum sattsam bekannten Reboot, im ersten Teil des Handbuchs unter "Sintflut" zu finden. | ||
Im Grunde
genommen hat man bei Fujitsu Systems Business die gleichen Sorgen. Diejenigen
innerhalb der Firma, die mit der Erschaffung des virtuellen Weltensystems WorldsAway
beschäftigt sind, wissen mittlerweile, daß es nur eine untergeordnete
Rolle spielt, ob eine Welt aus einem abkühlenden Plasmaklumpen oder aus mühevoll
koordinierten Datenpaketen entsteht. Die Problematik ist eigentlich der gleiche. | ||
Hier
wie da stellen die selbstgesteuerten Systeme das Hauptrisiko dar. In der Plasmaklumpenwelt
kommt die Gefahr von denen, die ihre frühkindlichen Sandkasten- prügeleien später mit Nuklearwaffen fortsetzen. Oder von denen, die den Unterschied zwischen einem Baum und einem Bohrturm nicht kennen. Oder von denen, die ihren Wein mit Eiswürfeln kühlen. In der Datenpaketwelt kommt die Gefahr hauptsächlich von denen, die während ihrer Onlinepräsenz Materieklumpenthemen wie Telefonrechnungen und Bankkonten nicht vollständig verdrängen können. Wie in allen Fällen, bei denen Materie und Antimaterie aufeinandertreffen, führt das zu fatalen Ergebnissen. | ||
Fujitsu
hat Sorgen mit WorldsAway - wenn man aus dem Duktus von Firmenverlautbarungen
das Eigentliche herausfiltert, sogar große Sorgen. Das Problemkind ist das
Flaggschiff des Weltensystems: Dreamscape. Die kleinen,
bisher weniger beachteten Nebenwelten scheinen sich besser zu etablieren. Hotel
Silicon, ehemals Betatestwelt für Systemupdates, scheint sich als
Plattform für Computerfreaks zu profilieren. Der neue Club
Connect ist als Forum für Partnersuchende ein weiterer Hoffnungsträger.
Und Pride, die Schwulen- und Lespenwelt, hat ihre
Bewährungsprobe längst bestanden. Für diese drei Welten konnte
Fujitsu Systempartner gewinnen, darunter eine Chatgemeinde mit über 900.000
Mitgliedern. | ||
Dreamscape,
die Traumwelt für alle, die eine zweite Heimat im Cyberspace gefunden haben,
scheint vor allem für amerikanische Kooperationspartner ein Buch mit sieben
Siegeln zu sein. Welche Zielgruppe findet man hier? Was? Eine Onlinegemeinschaft?
Und - was soll das sein? Was kaufen die? "WA manager", der Firmenvertreter
bei einer Online-Pressekonferenz in Dreamscape, brachte das fatale Mißverständnis
auf den Punkt: "Wer will schon eine virtuelle Gemeinschaft bewerben?" | ||
Irgendwie
scheint sich der Begriff eCommerce noch nicht bis in die Fujitsu-Chefetage vorgearbeitet zu haben. Daß hier die eigentliche Chance zum Erfolg liegt, ist weitgehend noch unerkannt. WorldsAway ist die Antwort auf die von vielen - vor allem europäischen - Unternehmen gestellte Frage: eCommerce ja, aber wie? Befürchtungen überlagern konstruktive Gedanken: Wird die Dreamscape-Bevölkerung eine Kommerzialisierung akzeptieren? Wird ein mit Firmen-Locales und Werbeplakaten ausgestattetes Stadtbild zu einem Massenexodus entrüsteter User führen? | ||
Doch Überlegungen
dieser Art sind müßig. Mit Sicherheit werden die Bürger von Dreamscape
eine kommerzialisierte Welt und auf diese Weise subventionierte Gebühren
einem System vorziehen, das sie die volle Wucht der tatsächlichen Kostensituation
spüren läßt. Und sie werden ein kommerzialisiertes Dreamscape
sicher höher einschätzen als ein schwarzes Loch an der Stelle, an der
vorher noch ihre digitale Heimat war. Es ist alles eine Frage der Balance und
der Gestaltung. Angebote kooperierender Firmen können auch eine Bereicherung
darstellen - wenn sie dazupassen. | ||
Bei Fujitsu
überlegt man derzeit noch, wie man aus der Gebührenfalle entkommen kann. Die preiswerte Anlaufphase erzeugte starken Zulauf und damit die Bestätigung, daß das "warme" System einer 2D-Welt mit ihren Möglichkeiten besonders bei der Avatargestaltung dem technischen Overkill der 3D-Systeme mit ihrer harten und kalten Ästhetik weit überlegen ist. Dann kam der Übergang auf eine kostendeckende Struktur und mit ihm Panik bei den Usern. Der neue Gebührenplan zeigte, welche Wertigkeit die virtuelle Existenz bei den meisten Anwendern wirklich hat. Massenemigration und vereinsamte Locales waren die Folge. Nun kehrt man wieder zurück zu anwenderorientierten Gebühren und bietet die von den Kunden energisch eingeforderten flat rates. Die Folge: Kostendeckung oder gar Gewinnlage rücken in weite Ferne. | ||
Bei
Fujitsu orientiert man sich offensichtlich am großen Vorbild. Der Erbauer
des Plasmasystems Erde stellte die Rentabilität durch Erhöhung der Mitgliederzahl
her: Seid fruchtbar und mehret euch! Die WA-Entwickler werden sich einer
ernüchternden Tatsache stellen müssen: Ein Verkaufsförderungs- instrument, das an Effektivität dem Geschlechtstrieb gleichkommt, steht ihnen nicht zur Verfügung. Es wird erforderlich sein, sich mit einigen Nebengöttern zusammenzutun, auf daß man gemeinsam den Schöpfungsakt vollende. | ||
Oder
in den unendlichen Tiefen des virtuellen Universums wird - von nur wenigen beachtet
- ein kleines Licht aufhören zu funkeln ... | ||
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