Von
Nexo of Kystone
Man
kann Sachverhalte so oder so sehen. Richtig oder Falsch. Exakt oder schwammig.
Komplex oder einfach.
Angenommen,
der Sachverhalt ist richtig erkannt. Dann läßt er sich immer noch exakt
oder schwammig darstellen. Und komplex oder einfach.
Angenommen,
der Sachverhalt ist nicht nur richtig erkannt, sondern auch exakt dargestellt.
Dann bleibt noch die Alternative: komplex oder einfach erklärt? Die Ahnung,
wie der nächste Absatz lauten wird, trügt: Ab hier geht es nicht weiter.
Komplex
oder einfach. Einfach oder komplex. Macht das einen Unterschied? Ein Sachverhalt,
der richtig erkannt und exakt dargestellt ist, ändert sich doch nicht durch
die Art und Weise, wie er erklärt wird. Oder doch?
Nehmen
wir ein Beispiel. Das heißt: kein Beispiel - nehmen wir die Basis des Seins.
Die Basis des Seins als Beispiel. Wie lautet die Basis des Seins? Sie lautet:
Was ist die Realität?
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Jetzt
nur nichts falsch machen. Das Thema ist nicht die Suche nach der richtigen Antwort.
Die ist
bekannt. Nicht vielen, aber sie ist bekannt. Das Dumme dabei: Die Antwort wird
umso wahrer, je mehr Menschen sie kennen. Und schon sind wir am Knackpunkt: Es
kommt eben doch darauf an, wie der Sachverhalt erklärt wird. Komplex oder
einfach. Einfach oder komplex.
Komplexe
Antworten gibt es zuhauf. Sie stammen von Philosophen mit schwer aussprechbaren
Namen und anderen genialen Menschen. Sie sind der Treibstoff auf dem Weg zur idealen
Existenz. Treibstoff ist wichtig. Wenn es Fahrzeuge gibt, die damit betrieben
werden können.
Das
menschliche Sein steckt in einer Sackgasse. Die eingeschränkte Sicht auf
das angeblich Reale ist ein selbsterrichtetes Sklavenhaus, gefüllt mit Sklaven,
die nur in der Selbstvernichtung einen Weg in die vermeintliche Freiheit sehen.
Und - die Vordenker der neuen Wirklichkeit mögen es mir verzeihen - die angebotenen
Theoreme und Konstrukte können von der Allgemeinheit nicht zum Besseren genutzt
werden. Zu komplex. Ungeeigent, diese Zivilisation auf dem Weg zum idealen Sein
voranzubringen. Denn was wir brauchen, ist eine Zivilisation mit zukunftsweisenden
Realitätsbegriff.
Die
Wissenschaftler der Realitätslehre haben gegenüber ihren Vorgängern
eine zusätzliche Verantwortung: Wenn es Ihnen nicht gelingt, die Wirklichkeit
dem Müllkutscher ebenso eindringlich zu vermitteln wie dem Wallstreetbroker
und dem paranoiden Irrenhausbewohner, wird die Realität sich gegen uns wenden.
Sie wird vergehen wie die blaue Blüte der Hoffnung.
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Was
also ist Realität? Oder zunächst: Was ist keine Realität? Oder
anders: Was ist das Gegenteil von Realität?
Die
meisten werden antworten: Das Gegenteil von Realität ist die Phantasie. Wie
erwartet. Bei denen, die das so nicht sehen, gibt es wieder eine Mehrheit. Sie
wird vorbringen: das Irreale. Im Rest wieder eine Mehrheit. Deren Credo: die Virtualität.
Jede Mehrheit generiert eine kongruente Minderheit, auch diese. Die Mehrheit in
der Minderheit der Mehrheit. Selbstähnlichkeit der Denkmodelle? Intellektuelles
Fraktal? Spiritueller Mandelbrot?
Nicht
doch. Der Weg zum Realitätsbegriff ist nicht unendlich. Alle ineinandergeschachtelten
Mehrheiten geben als Antwort auf die Frage nach dem Gegenteil der Realität
die üblichen Antworten: Phantasie, das Irreale, Virtualität - und noch
eine Menge gleichwertiger Synonyme. Doch egal, wie weit die Verschachtelung der
Definitionsversuche geht - am Ende bleibt die Enklave der Erkenntnis, wie klein
sie auch sein mag. Einige kennen die wahre Antwort auf die Frage, was das Gegenteil
von Realität ist. Sie lautet: Realität.
Zweifler,
Gegner, Spötter, haltet für einen Augenblick ein. Nehmt einen Lidschlag
der Ewigkeit lang an, die Antwort wäre richtig. Das Gegenteil von Realität
ist Realität. Was bedeutet das für die anderen, vorher gestellten Fragen?
Was
ist Realität nicht? Wenn das Gegenteil von Realität Realität ist,
dann ist die Realität selbst nicht Realität. Das ist doch logisch. Realität
ist nicht Realität. Das Gegenteil von Realität ist Realität.
Nun
zurück zur ursprünlichen Frage: Was ist Realität? Wir wissen: Realität
ist nicht Realität. Das Gegenteil von Realität ist Realität. Daraus
folgt eindeutig: Realität ist alles, was nicht Realität ist - also Phantasie,
das Irreale, die Virtualität.
Wir
sind am Ziel - wenn wir die ursprüngliche Prämisse akzeptieren: Das
Gegenteil von Realität ist Realität. Hier liegt der Hase im Pfeffer.
Wie real ist die Phantasie eines Paranoiden, den seine eingebildeten Verfolger
in den Selbstmord treiben? Wo ist der Unterschied zu tatsächlichen Verfolgern,
vom Ergebnis her gesehen? Wie real ist der Avatar eines Users, der die Liebe eines
anderes Avatars auf sich zieht und die Gefühlswelt seines Users in Aufruhr
versetzt? Wo ist der Unterschied zu einer materiegebunden Liebe, vom Hormonhaushalt
her gesehen? Wie real ist eine virtuelle Welt, wenn der Computer ausgeschaltet
wird? Bedeutet das Offlinegehen den Untergang des virtuellen Unviersums oder nur
den Stillstand der Zeit bis zum nächsten Besuch? Was ist der Unterschied
des virtuellen Heimatgefühls gegenüber dem materiellen, von den synaptischen
Funktionen des Gehirns her gesehen?
Möglich,
dass die Realität auch real ist - streckenweise. Sicher aber ist die Realität
auch virtuell. Oder - um das Kind beim Namen zu nennen:
Die
Virtualität ist real.
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