MACHTÜBERNAHME
! von Nexo
of Kystone
Mit Lara Croft hatte es sich bereits angekündigt - nun ist es Wahrheit
geworden: der Einbruch eines Avatars in die reale Welt. (Siehe dazu
auch Artikel Im
Bett mit Lara in Ausgabe 1/98). Der User Stephan Raab
rief die Geister, die er nun Gefahr läuft, nicht mehr loszuwerden. Und
in Guildo Horn fand er einen Träger für seinen Avatar Alf
Igel, program- miert und konzipiert für das durchaus lobenswerte
Unternehmen, dem deutschen Ranzfettschlager den endgültigen Todesstoß
zu versetzen.
Fun-Producer und Viva-Moderator
Stephan Raab verdanken wir einen bedeutenden Schritt in Richtung Annäherung
zwischen virtueller und materieller Welt. Bisher schien die letzte Konsequenz
undenkbar, unausführbar: Die Materialisation eines Avatars war bis vor ganz
kurzer Zeit allenfalls Stoff für Science-Fiction-Stoffe zwischen
Tron und Last Action Hero. Raab hat den Kontakt geschlossen, und
das durch eine geniale Assoziation: Wenn ein Avatar keine eigene Materie
hat, mit der er sich auf der körperlichen Welt etablieren kann,
muß eben ein geeigneter Körper gefunden werden, von dem er Besitz ergreifen
kann. Angesichts dieser Erkenntnis erhält man einen anschaulichen
Eindruck davon, welche Filme Raab in der letzten Zeit gesehen haben
muß.
Ein geeigneter Wirt
war schnell gefunden. In Guildo Horn fand der Musikterrorist eine Wesenheit
vor, die sich selbst bereits für die problemlose Vereinnahmung vorkonfiguriert
hatte: Eine satinglänzende Schmalzheinikarikatur mit schütterem
Langhaar und Wabbel- bauch, gekommen, um mit selbstgeklonten Schlagerphantomen
das etablierte Carpendale/ Cordalis-Imperium ins Wanken zu bringen. Doch
auch der Meister war - wie die anderen Vertreter des Schlagerparodistentums
- den Weg aller Schnulzen gegangen: Emporgehoben auf die Woge der unreflektierten
Begeisterung einer orientierungslosen Fangemeinde, korrumpierte sich
der Rächer in Lichtgeschwindigkeit vom Herzschmerz-Desperado zum
angepaßten
Diplomschnulzi. Gegen sein Publikum hatte Guildo von Anfang an keine Chance gehabt:
Die sich in hysterischem Überlegenheitstaumel selbst feiernde Fangemeinde
unterlag einer monumentalen Selbsttäuschung: Im Glauben, sich als
elitäre Verspottungselite über die Masse der Schlagerfreunde
zu erheben, ließ sie sich in Wirklichkeit vom verlogen anbiedernden
Kopfstreichelpotential der großdeutschen Schlagerschleimparty hinterrücks
vergewaltigen und tanzt
nun auf Parties mit Orginalplatten aus den Sechzig-Siebzig-Achtzigern.
Ein trojanischeres
Pferd konnte sich Alf Raab (Stephan Igel?) nicht wünschen. Nicht nur die
feindlichen Soldaten sind in seinem Bauch wohl verborgenen, auch das
Pferd selbst ist als solches nicht zu erkennen. Ja, selbst die feindlichen
Heerscharen, die das listige Tier vor dem Stadttor zurückließen,
erscheinen mit den Fahnen der eigene Leute. So also injizierte Raab
dem ahnungslosen Guildo seinen heimtückischen Avatar Alf Igel und rollte
das Pferdchen in Gestalt des Trällermachwerks Guildo hat Euch
lieb" vor die stark bewehrte Schlagerfestung. Da die Burgbewohner
den virtuellen Braten natürlich sofort riechen würden, mobilisierte
Raab
seine Streitkräfte: die zu vollgültigen Schlagerzombies
mutierten Anhänger ihres Meisters.
Zusammen mit der nicht unwesentlichen
Menge herkömmlicher Schlagerliebhaber, die Guildo
Horn von Anfang
an für einen der ihren hielten, gelang der Coup. Das trojanische Pferd gelangte
ins Innerste der Schlagerburg. Von dort aus wird es direkt ins Heiligste der europäischen
Schnulzenkloake rollen und dort eines von zwei Ergebnissen erzielen: Entweder
den deutschen
Schlager dem aussetzen, was ihm schon seit Jahrzehnten gebührt:
internationalem Spott und
endgültiger Verachtung. Oder die Akzeptanz
durch die Douce-Point-Mafia, ein Platz auf den
vorderen Rängen und
damit die Infektion des gesamten Krankheitsherds. Gut gemacht, Stephan!
Und Avatar Igel? Ihm
gebührt ewiger Ruhm als dem ersten virtuellen Wesen, das uns seine
Macht hat spüren lassen. Wir sind nicht mehr allein. Wir werden uns die Führungsrolle
als führende Lebensform auf diesem Planeten mit unseren virtuellen
Stellvertretern teilen müssen. Stellverteter? Das war einmal.
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